Gründungsimpuls für die Kunstarchive in der Akademie nach 1945 war die Rückgewinnung der von den Nationalsozialisten verfemten, verfolgten und auch ermordeten Künstlerinnen und Künstler mit ihrem Werk – unter ihnen Valeska Gert, John Heartfield und Erwin Piscator. Sie waren später nicht immer willkommen – weder in der DDR, noch in der BRD. Manchmal dauerte es Jahre, bis sie wieder an alte Erfolge anknüpfen konnten, oftmals gelang es nicht. Die Auseinandersetzung mit diesem Erbe in Bild, Wort, Musik und Tanz sieht die Akademie der Künste und ihr Archiv als wichtigen Teil Ihrer Zusammenarbeit mit dem Heartfield Freundeskreis. Sie bewährte sich im Juni 2021 – nach langer Corona-Pause – gleich zweimal hintereinander erneut, anlässlich der Buchpräsentation zum 130. Geburtstag des Fotomonteurs und eine Woche später mit der Veranstaltung „Die Befreiung der Sinne“.
Der Komponist Helmut Oehring war Impulsgeber für die Letztere. Bisher gab das Akademiemitglied immer sehr anregende Empfehlungen für die musikalische Programmgestaltung. Nun sollte es etwas ganz Neues sein: Tanz auf der Treppe vor dem Heartfield-Haus, auf dessen Dachterrasse und auf dem Waldboden von Waldsieversdorf… Gemeinsam mit dem Leiter des Archivs Bildende Kunst der Akademie der Künste, Michael Krejsa wurde die Idee weiterentwickelt und auch erstmals Stephan Dörschel, Leiter des Archivs Darstellende Kunst, beratend hinzugezogen. Die Tänzerin und Kulturpreisträgerin der Landeshauptstadt Dresden, Katja Erfurth griff diesen neuen Gedanken gern auf. Bereits für 2020 geplant, konnte nun am 26. Juni 2021 die Veranstaltung endlich starten.
Michael Krejsa sprach zur Einführung über den künstlerischen Aufbruch am Beginn des 20. Jahrhunderts. Er stellte auch einen Bezug zu Waldsieversdorf her und berichtete über die in den 1920 Jahren im nahegelegenen „Roten Luch“ existierende Kommune Grünhorst. In deren Zentrum stand der deutsch-jüdische Frauenarzt Dr. Joseph Heinrich Goldberg, der wegen wiederholter Abtreibungen verdächtigt und am 16. Mai 1933 unter ungeklärten Umständen in der Dominikanischen Republik erschossen wurde. Der frühzeitig beendete Versuch dieser kleinen utopischen Wohngemeinschaft vereinte Gemeinwirtschaft, Nacktkultur, „freie Liebe“ und traditionelles Handwerk. Doch es ging in Grünhorst nicht nur – wie der Siedlungsname auch nahelegen könnte – um biologische Landwirtschaft für die Belieferung von Berliner Reformhäusern, sondern mit der Kommune waren auch mehrere Zeitschriften „Der Strom“, „Utopia“, „Die Kommenden“ und vor allem „Der Gegner“ verbunden. Die Wiederbelebung der letztgenannten Publikation wurde durch den Schriftsteller Franz Jung in den Jahren 1924 und nochmals Anfang der 1930er betrieben. Für ihn hatte Heartfield auch Buchumschläge gestaltet. Das Unternehmen wurde ursprünglich 1919 – im Ersten Weltkrieg – gegründet und war später zeitweise durch die Brüder Wieland Herzfelde und John Heartfield unter Mitarbeit von George Grosz im Malik-Verlag geführt worden. Die Ideengeber für das Lebens-Experiment im „Roten Luch“ gingen jedoch auf eine andere „Urzelle“ zurück: auf das Siedlungsprojekt „Monte Verità“ [Berg der Wahrheit] in der Gegend um Locarno in den Schweizer Bergen.
Genau diesen Bezugspunkt griffen Stephan Dörschel und seine Kollegin Helene Herold auf. Im Expressionismus hatten der „Monteur-Dada“ John Heartfield und Mary Wigman, in deren Züricher Wohnung 1917 Hugo Ball und Tristan Tzara die Eröffnung der Galerie DADA feierten, ihre künstlerische Wiege. Beide begannen einen für ihre jeweilige Kunstgattung der bildenden Kunst und des Bühnentanzes völlig neuen, völlig fremden, entgegengesetzten künstlerischen Weg einzuschlagen.
Anstatt handwerklich trainiert, mit scharfem Auge und sicherer Hand zu skizzieren und dann schließlich „in Öl“ zu vervollkommnen, entwickelte Heartfield das Arrangement, die Komposition von bereits Vorhandenem, also Vorgegebenem, von Fotos, die er ausschnitt und neu zusammensetzte, zu einer Kunstform eigenen Ranges. Und anstatt ausdauernd trainiert und von einem großen Orchester begleitet auf Spitze Pirouetten zu drehen, zog Mary Wigman ihre Schuhe aus, verzichtete teilweise ganz auf Musik oder ließ sich nur von einem Schlagzeug/Trommel begleiten und tanzte Hexentänze.
Schlagzeug und Trommel waren auch die Instrumente, denen Sascha Mock wunderbare Klänge entlockte, zu denen Katja Erfurth beindruckend tanzte. Zur Aufführung kamen „CHORÓS – Ein Fragment“ (Komposition: Helmut Oehring), die „Befreiung der Sinne“ und „RESONANZEN“ ein Maskentanz. Es war wieder eine besondere Veranstaltung, dieses Mal – in Konkurrenz zu Fußball und einer Veranstaltung in Buckow leider nur mit knapp 40 Gästen.
Michael Krejsa schrieb uns:
„Wir hatten schon einige gelungene Veranstaltungen in Waldsieversdorf, aber dieses Mal war es ein sehr besonderer Moment in der zehnjährigen Geschichte der Zusammenarbeit der Akademie mit dem Heartfield-Haus in Waldsieversdorf – auch wenn es ein paar Besucher hätten mehr sein können… Daran hatten Sie und der Freundeskreis bei den letzten beiden Veranstaltungen einen großen Anteil, wofür ich nochmals sehr danken möchte. Die Kollegen unserer Archivabteilung Darstellende Kunst schrieben von der schönen ‚Veranstaltung, die wir am Samstag alle zusammen auf die Beine gestellt haben. Dieser Ort, der Tanz von Katja Erfurth, die musikalische Begleitung dazu und unsere Beiträge – es war ganz, ganz, ganz toll.‘“
Mit angeregten Gesprächen und einem Glas Sekt, vorheriger Stärkung mit Kaffee und Kuchen, ging der Nachmittag zu Ende.
Besten Dank an die Stiftung der Sparkasse MOL, die diese Veranstaltung finanziell unterstützte.