John Heartfield als Fotomonteur ist weltbekannt; nach wie vor gilt er als unumstrittener Meister dieser Kunst. Nachahmer gab es viele, Nachfolger, die ihm ebenbürtig sind, fast keine. Der Ruhm des Fotomonteurs jedoch verdeckt die Vielgestaltigkeit dieses Künstlers, der als Typograph, Buchgestalter und Bühnenbildner ebensolche Aufmerksamkeit beanspruchen darf.
Gesehen werden und auffallen
Als sein Bruder Wieland Herzfelde beginnt, die ersten Bücher im Malik-Verlag zu publizieren, weiß er sehr wohl, wie schwierig es ist, sich auf dem Markt einen Platz zu erobern. „Gesehen werden und auffallen“ ist deshalb seine Strategie im Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums. Heartfields vielfältige Erfahrungen in der Werbung sind ein Schlüssel zum Erfolg. Die von ihm gestalteten Bücher locken den Blick noch des flüchtigsten Betrachters an.
Zunächst verwendet Heartfield unbearbeitete Fotos nur für die Vorderseite des Umschlags. Da sich niemand im Verlag mit darüber- oder darunterlaufenden artig gedruckten Titelzeilen anfreunden kann, wird die Schrift ins Bild gezeichnet. Bald schon ändert sich das Aussehen der Bücher. Reklamationen der Buchhändler geben den Anstoß: Das für die saubere Wiedergabe des Umschlagfotos benötigte weiße Kunstdruckpapier zieht auf der freigebliebenen Rückseite den Schmutz magisch an. Versuche, dem Problem durch Lackierung zu Leibe zu rücken, sind nicht sofort erfolgreich, eine Technologie gibt es dafür noch nicht. Um schnelle Abhilfe zu schaffen, liegt es nahe, den ganzen Umschlag mit Fotos zu bedrucken; so wird einerseits dem Schmutz weniger Angriffsfläche geboten, andererseits läßt sich die zur Verfügung stehende Werbefläche besser ausnutzen. Bilder im Querformat bereiten dabei keine Schwierigkeiten, bei Hochformaten wird vorn und hinten das gleiche Foto gezeigt.
Kontrast-Aufnahmen
Bei der zweiten Auflage des Upton-Sinclair-Romans „Hundert Prozent“ im Jahre 1923
wird auf der Rückseite des Umschlags eine andere Abbildung eingesetzt. Sinclairs Buch präsentiert sich in einem neuen Gewand. Dem Titelbild – Menschen, die sich auf der Straße drängen – wird eine Aufnahme von Männern in den berüchtigten Ku-Klux-Klan-Gewändern entgegengestellt. Da die Größenverhältnisse zwischen den Menschen in der Menge und den Kapuzenmännern zu stark differieren, wird der Umschlag bei einer Neuauflage 1928 abermals verändert. – Die Bücher fallen mit einer solchen Gestaltung deutlich aus der üblichen Norm, zugleich sind sie agitatorisch wirksam: „Denn wir sagten uns, auch wer nicht kauft, soll allein durch den Anblick im Sinne des Buches beeinflußt werden.“
Nun bestimmen zwei Hauptvarianten Heartfields Umschlaggestaltung: von vorn nach hinten umlaufende Fotos und die Verwendung von zwei Motiven als thematische Aufzählung. Bei der Gestaltung des Jahrbuchs „Platz dem Arbeiter“ montiert Heartfield 1924 gleich mehrere Fotos zum Zeitgeschehen: demonstrierende Arbeiter, verarmte Proletarier, aufmarschierende Reichswehr. Wie in einem Film rollen die aktuellen Ereignisse vor dem Auge des Betrachters ab, die scharfe Kontrastierung erübrigt jeden Kommentar. Bald schon tritt auch Heartfields scharfe Schere in Aktion – Bilder, wie sie
die Kameralinse „sieht“, genügen den Brüdern nicht mehr.
Umschläge: eigenständige Kunstwerke
Den entscheidenden Schritt tut Heartfield 1928 bei der Neuausgabe von John Dos Passos’ Roman „Drei Soldaten“. Die erste Auflage von 1922 war nur vorn bedruckt:
Drei Soldaten sitzen am Waldrand vor dem Hintergrund der amerikanischen Flagge und schreiben Feldpostbriefe. Auf dem neuen Umschlag strahlt tiefblauer Sternenhimmel anstelle des Sternenbanners. Die bisher weiße Rückseite des Umschlags zeigt nun ein Foto mit drei gefallenen Soldaten auf einer Landstraße unter fahlem Morgenhimmel.
Das ist mehr als eine bloße thematische Aufzählung, es ist eine bewußte antithetische Aussage; eine harte Gegenüberstellung.
Heartfield handhabt in der folgenden Zeit die neue Methode mit Virtuosität. Seine Umschläge sind eigenständige Kunstwerke, was manchen Buchhändler –
nicht eben zu Herzfeldes Freude – veranlaßt, nur den Schutzumschlag zu bestellen …
Der Sacco- und Vanzetti-Roman „Boston“ von Upton Sinclair (1929) führt vorn eine düstere Stadtansicht vor, hinten wird der Blick durch eine geöffnete Tür auf den elektrischen Stuhl gelenkt. Ernst Ottwalts „Ruhe und Ordnung“ (1929) zeigt vier Uniformierte, die nach getanem Mordwerk an einer Hauswand sitzen, hinten wirbt
ein Flugblatt für den Eintritt in die Freiwilligen-Korps: Auf diesen Ausschnitt ist ein bewaffneter Junge in Uniform montiert.
Als der 1922 unter dem Titel „Der Liebe Pilgerfahrt“ erschienene, stark gekürzte Sinclair-Roman „Love’s Pilgrimage“ 1930 als „Leidweg der Liebe“ in vollständiger Fassung neu aufgelegt wird, liefert Herzfelde nicht nur die neue Titelidee – zwar weniger wörtlich übersetzt, aber den Sinn des Buches besser erfassend – sondern auch den Montageeinfall für den Umschlag. Heartfields wohl poetischster Schutzumschlag entsteht: Geburtszange und Rose geben ein Sinnbild für ewiges Werden und Vergehen. Der Umschlag zu Sinclairs „Das Geld schreibt“ (1930) zeigt eine gepflegte Hand, die in einem Marionettentheater ihre Tintenkulis führt. Für die Rückseite benutzt Heartfield ein idyllisches Familienfoto, über dem steht: „Seid umschlungen, Millionen!
Damit hat Schiller nicht amerikanische Dollars gemeint.“
„Erfinder des Photomontage-Einbandes“
John Heartfield „ist der Erfinder des Photomontage-Einbandes. Seine Malik-Einbände sind die ersten ihrer Art gewesen.“ Diese Einschätzung Jan Tschicholds in seinem „Handbuch für zeitgemäß Schaffende“, das 1928 unter dem Titel „Die neue Typographie“ erscheint, ist ergänzungsbedürftig – sie vernachlässigt Herzfeldes Beitrag zur Entwicklung einer neuzeitlichen Buchkunst, deren Kennzeichen nicht auf werbewirksame Agitation beschränkt werden darf. In enger Zusammenarbeit der Brüder wird ein völlig neuer Typ des Buches entwickelt, der Sprach- und Bildkunstwerk miteinander vereint – zahlreiche Bände statten sie gemeinsam aus. Epigrammatisch auf den Punkt gebracht, drücken die Schutzumschläge das Anliegen des Werkes aus; ihre landläufige Funktion, die Leineneinbände vor Verschmutzung zu bewahren, ist allenfalls ein praktischer Nebeneffekt.
Die Werkausgaben von Ehrenburg, Gorki, Sinclair, L. Tolstoi zeigen sich in einheitlicher und unverwechselbarer Einbandgestaltung, bei Pliviers „Des Kaisers Kulis“ oder Turecks „Ein Prolet erzählt“ wird der Buchrücken genutzt, um einen kurzen Überblick über den Inhalt zu geben. Mustergültig sind die Bücher natürlich auch innen. Stets wählt Heartfield einen ausreichend großen Schriftgrad und genügend Durchschuß; seine Typographie ist ganz auf Lesefreundlichkeit eingestellt.
„… möchte ich Buchumschlag im Malik-Verlag sein“
„Wenn ich nicht Peter Panter wäre“, schwärmt Kurt Tucholsky, ein eifriger Rezensent von Malik-Büchern, „möchte ich Buchumschlag im Malik-Verlag sein. Dieser John Heartfield ist wirklich ein kleines Weltwunder. Was fällt ihm alles ein ! Was macht er für bezaubernde Dinge! … Da sich die deutschen Bücher noch nicht wie die französischen zu einem einheitlichen Gewande aufgeschwungen haben, muß gesagt werden: bei Maliks werden sie am besten angezogen.“
Der Staatsanwalt greift ein
Aber durchaus nicht alle haben eine solch hohe Meinung von Heartfields Arbeiten. 1927 zwingt der Staatsanwalt den Verlag, aus dem Schutzumschlag des Buches über den falschen Prinzen – gemeint ist das Buch des Hochstaplers Harry Domela – das Bildnis des echten zu entfernen, selbst einem so findigen Juristen wie Dr. Alfred Apfel gelingt es nicht, das Urteil des Kammergerichts Berlin aufzuheben. Seine Hoheit ist in der Republik unantastbar.
Mit anderen Prozessen gegen Heartfield hat die Justiz weniger Glück: Im Agis-Verlag erscheint 1928 das Buch „Erotik und Spionage in der Etappe Gent“. Heartfields Montage zeigt einen Offizier, der einer jungen Dame recht ungeniert unter’s kurze Röckchen langt. So unverfroren läßt die Justiz nicht mit ihren geheiligten Militärs umspringen. Heartfield muß die beanstandete Stelle unkenntlich machen. Bereitwillig kommt er diesem Verlangen nach, allerdings nicht, ohne seinen Kommentar auf dem schwarzen Viereck zu hinterlassen, das er über Hand und Schoß klebt: „Hier hat die Zensur eingegriffen!“ Mit dieser Lösung ist der Staatsanwalt erst recht nicht zufrieden; Heartfields nächste Version indessen ist noch pikanter. Er bringt den Staatsanwalt selbst ins Bild; mit einer Schere mißt er dem losen Pärchen auf dem Bild ein „Tüchlein der Verschwiegenheit“ an, während aus seinem verkniffenen Mund die Worte kommen: „Da muß man ja dazwischen fahren“.
Klagen gibt es auch gegen den Umschlag von Sinclairs „Das Geld schreibt“. Zufall oder nicht; bei seiner Familienidylle auf der Rückseite hat Heartfield ein Bild des damals bekannten Schriftstellers Emil Ludwig verwendet – es ist rechtmäßig aus einem Pressearchiv erworben. Ludwig sieht, obwohl er nirgends namentlich genannt wird, sein Persönlichkeitsrecht verletzt, vermutlich hat ihm auch der auf den Dollar gemünzte Schillerspruch von den umschlungenen Millionen nicht gefallen – und zieht vor Gericht. „Also ließen wir das ‚Persönliche’, die Köpfe (einschließlich den des abgebildeten Hundes – U.F.) ausstanzen – und der Absatz des Buches nahm merklich zu. Wieder wollte Emil Ludwig uns verklagen. Aber sein Bevollmächtigter, der Verleger Ernst Rowohlt, ein Mann mit Humor, lehnte das ab.“
Gegen den Schutzumschlag von Sinclairs Roman „Alkohol“ läuft die Firma Buchanan & Co. Sturm. Die laternenhohe Flasche mit dem Etikett ihrer weltbekannten Whiskymarke Black & White, an der sich ein Betrunkener übergibt, empfindet sie als Schädigung ihres Rufs. Eine Einstweilige Verfügung verbietet die Verbreitung des Umschlags. Ein gummiertes Blatt in Form der Flasche, auf dem der Verbotstext steht, macht das Label unkenntlich. Eigentlich ist damit dem Gesetz Genüge getan, wäre nicht im Gerichtstext erneut der Firmenname zu lesen. Diesmal soll nicht allein der Verlag verklagt werden, sondern auch jede Buchhandlung, die es wagt, das Werk zu führen. Herzfelde jedoch garantiert den verunsicherten Buchhändlern, für alle eventuellen finanziellen Folgen zu haften: „Vielleicht wäre der Verlag daran zugrunde gegangen. Aber die Hitlerregierung verbot bald darauf den Verlag und beschlagnahmte seinen gesamten erreichbaren Besitz. Wie die mehr als hundert Klagen endeten, habe ich nie erfahren.“
„Ein Volltreffer ins Gemüt“
„Ein Volltreffer ins Gemüt, wo es am vergeßlichsten ist … Es ist weder Literatur noch Bilderbuch. Beinahe eine neue Gattung.“ So schätzt Axel Eggebrecht (Weltbühnen-Mitarbeiter und ehemaliger Maitarbeiter des Malik-Verlags in der Versandabteilung) das 1929 von Tucholsky und Heartfield gemeinsam geschaffene Buch „Deutschland, Deutschland über alles“ ein. Dieses Werk aus dem Neuen Deutschen Verlag ist ein seltenes Beispiel für das fruchtbare Miteinander zweier Kunstformen: Heartfield gestaltet nach Tucholskys Manuskript den Bildteil und sucht über 100 zum Thema passende Fotos aus, Tucholsky hingegen läßt sich vom vorliegenden Bildangebot zu weiteren Texten inspirieren. Unausbleiblich, so möchte man meinen, muß sich ein Buch Feinde machen, wenn zwei so erbarmungslose Kritiker der Weimarer Republik sich verbünden.
Unter dem Vorwand, schon der Titel stelle eine Verächtlichmachung der Nationalhymne dar, weigert sich das „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ zunächst, das Werk anzuzeigen. Da dieses Blatt damals die wichtigste Informationsquelle für die Buchhändler war, ist Tucholskys Vorwurf der beabsichtigten Geschäftsschädigung nicht übertrieben.
Anstoß erregt vor allem Heartfields Montage „Tiere sehen dich an“, die er im letzten Moment einbringt, ohne noch einmal mit Tucholsky Rücksprache zu halten: Weltkriegsgeneräle starren dem Betrachter ins Gesicht. Obwohl diese Satire für Tucholskys Geschmack reichlich „klobig“ geraten ist und er sich damit nicht recht befreunden kann, bemüht er sich, von seinen Vorbehalten nichts an die Öffentlichkeit dringen zu lassen: Für die Presse wäre es ein gefundenes Fressen, wenn sich Autor und Fotomonteur eines solchen Buches den geringsten Anschein von Uneinigkeit gäben.
The „making of…“
„Fotos oder Fototeile so mit Text zu kombinieren, daß eine Aussage entsteht, die von den einzelnen Teilen nicht vermittelt wird“ – so charakterisiert Wieland Herzfelde kurz das Wesen der Heartfieldschen Montagen. „Aber selbst, wenn Text sich erübrigt, braucht Heartfields Fotomontage stets einen Gedanken, eine Idee, sie ist eine graphisch-lineare Kunst, ein weltanschaulich-ästhetisches Zusammenwirken von Bild und Wort, zuweilen auch von Farbe.“
Darin liegt ein Geheimnis von Heartfields Arbeiten begründet, das viele Nachahmer übersehen. Jede seiner Montagen ist präzise in der Aussage; perfekt beherrschtes Handwerk ist ihm nur Mittel zu dem einen Zweck: die Bildidee so klar wie möglich zum Ausdruck zu bringen. Herzfelde betätigt sich als eifriger „Ideenlieferant“ für neue Montagen und verfaßt auch die kurzen, prägnanten Texte oder Verse. Oft hat er seinem Bruder bei der Arbeit über die Schulter geschaut. Seine Beschreibung verdeutlicht, mit welcher Akribie Heartfield zu Werke gegangen ist: „Zunächst wurden die Kanten des Fotos so bearbeitet, daß der Übergang von Teil zu Teil möglichst wenig bemerkbar war. Dabei … war Heartfield peinlich bemüht, jedes Berühren der Fotoflächen mit den Fingerspitzen zu vermeiden. Er benutzte ein Stäbchen … Als Klebstoff benutzt er einen Kleister, der nicht allzu rasch trocknete, so daß leichte Verschiebungen noch möglich waren. Um das Werfen der aufgeklebten Teile zu vermeiden …, wurde das Ganze zwischen Glasplatten gelegt … War das Blatt trocken, so ließ Heartfield es retuschieren. Dabei war er stets zugegen. Das Ergebnis sah gar nicht hübsch aus, die gespritzte Retusche hatte ja nicht die Farbe des Fotos … Aber Heartfield wußte aus Erfahrung genau, ob auf der Zwischenaufnahme, die nun folgte, statt des störenden Farbtons der Retusche ein unmerklicher Übergang von einem Fototeil zum anderen das Ergebnis sein würde. Auf die Zwischenaufnahme klebte er die Schrift und ließ das Blatt dann nochmals retuschieren.“
An Manie grenzenden Eifer
Zeitgenossen und Mitarbeiter wissen von einer wahren Besessenheit zu berichten, mit der Heartfield seine Arbeit ausübte. Der Bruder bescheinigt ihm einen an Manie grenzenden Eifer beim Sammeln von Material: Auf und unter Stühlen und Tischen türmen sich bei ihm Fotos aller Art – zusammengesucht in Agenturen, Archiven, Redaktionen, in- und ausländischen Zeitungen. Als er eines Tages mit einem dicken Bündel Zeitschriften, seiner „polygraphischen Wochenausbeute“, von der er sich nur ungern trennt, das Romanische Café betreten will, stellt sich der Türhüter quer: Der Handel mit Zeitungen
sei hier verboten …
Mit Heartfield auf „Lokaltermin“
Nicht alle Fotos, die Heartfield benötigt, findet er in seinem Archiv. Um eine bestimmte Bildidee zu verwirklichen, ist es oft unerläßlich, eine Aufnahme zu stellen. Heartfield, der selbst nicht fotografiert, führt dabei Regie. Zur Verzweiflung mancher Fotografen weicht er nicht früher von der Stelle, bis genau die Aufnahme „im Kasten“ ist, die ihm vorschwebt. „Wir waren zusammen auf Schmetterlingsjagd, kletterten über Stacheldrahtzäune und zerrissen dabei unsere Hosen. Ich stand mit einem Photoapparat schußbereit, als Heartfield einen Krebs hypnotisierte … Ich war mit Heartfield, als er an einem hellichten Vormittag vier würdige Herren in Frack und Zylinder auf ein Baugerüst … klettern ließ. (Zu dem Buchumschlag ‘So macht man Dollars’.)“ – erinnert sich der ungarische Fotograf Wolf Reiss (János Reismann), der mehrfach mit Heartfield zusammenarbeitet.
Ist der „Lokaltermin“ beendet, kann es Heartfield kaum erwarten, die Ergebnisse im Labor zu betrachten. Er gibt sich nicht eher zufrieden, bis er die fertigen Abzüge in der Hand hält, auf den Millimeter genau in der Größe, die er braucht. Während der erschöpfte Fotograf endlich ausruhen darf, beginnt Heartfield mit der Montage, oft sitzt er bis spät in die Nacht. Und mit ihm nicht selten Wieland Herzfelde, der dem Bruder auch bereitwillig mit seiner besser lesbaren Handschrift aushilft.
Photographie plus Dynamit
In der Weimarer Republik gehört der Fotomonteur zu den meistbeschäftigten Künstlern. Zeitschriften reißen sich um seine Mitarbeit, als Theaterausstatter ist er begehrt, zahlreiche linke Verlage sichern sich seine werbewirksamen Schutzumschläge. Aus vielen Ausstellungen sind seine Montagen, die der Kritiker Adolf Behne als „Photographie plus Dynamit“ beschreibt, nicht wegzudenken. Das Emblem des Roten Frontkämpferbundes, die zum Gruß geballte Faust, basiert auf einer Montage, die Heartfield aus der Grosz-Zeichnung „Über den Gräbern des März“ ableitet, mehrere Wahlplakate für die KPD, z.B. „5 Finger hat die Hand“ (1928) oder „Das letzte Stück Brot raubt ihnen der Kapitalismus“ (1932) entstehen in seiner Werkstatt; für den Verlag für Literatur und Politik Wien/Berlin entwirft er das Signet. 1930 sagt Heartfield seine ständige Mitarbeit bei der AIZ zu – jeden Monat will ihm die Illustrierte eine Seite einräumen. Diese weitverbreitete Wochenzeitschrift (Auflage 1931: 500.000 Exemplare) ist für den Künstler eine nahezu ideale Tribüne. Schnell erreichen seine Montagen ein breitgefächertes Publikum; nicht allein Arbeiter sind Leser des Blattes.
Zunehmend politisch
Zunehmend gilt Heartfields Interesse den sich zuspitzenden politischen Verhältnissen. Er teilt nicht die Hoffnung vieler Zeitgenossen, der Nazispuk werde schon von ganz allein verschwinden. Dem Kampf gegen die Faschisten ist ein Großteil seiner Arbeiten gewidmet. Bereits 1932 gibt er dem von Hitler oft im Munde geführten Ausspruch „Millionen stehen hinter mir“ einen entlarvenden Doppelsinn: Seine Montagen sollen den allzu Leichtgläubigen die Augen öffnen – Deutschlands vielbeschrieenes Erwachen, weiß Heartfield, kann nur ein böses sein.
Im Zeitraum von 1930 bis 1938 entstehen für die AIZ (ab 1936 „VI“ – Volksillustrierte) insgesamt 234 Arbeiten. Heartfield erwirbt sich den ehrenvollen Ruf, einer der meistgehaßten Künstler bei den Machthabern des „Dritten Reiches“ zu sein.
… nur einen Moment
Ein ganzes Jahr verbringt Heartfield ab 1931 in der Sowjetunion. Gastfreundlich wird er von seinem (später von Stalin ermordeten) Freund Sergej Tretjakow aufgenommen – dieser macht ihn mit zahlreichen sowjetischen Künstlerkollegen bekannt. Tretjakow nutzt Heartfields Aufenthalt aber auch, um Material über ihn und seine Kunst zu sammeln für eine Monographie, die er 1936 zusammen mit Solomon Telingater veröffentlicht. Besonders aufschlußreich sind darin die theoretischen Darlegungen Heartfields zu seiner Kunst – es sind die einzig erhaltenen aus seinem Munde. Tretjakow hat sie in zahlreichen Vorträgen mitstenographiert und als Zitate in seinem Text verwendet.
Auf der Rückreise nach Berlin begegnet Heartfield in Odessa Erwin Piscator, der gerade mit einem Filmprojekt zu Anna Seghers’ „Der Aufstand der Fischer von St. Barbara“ beschäftigt ist (eigentlich hält sich Piscator im Auftrag Willi Münzenbergs in der Sowjetunion auf, um enervierenden Forderungen des Berliner Finanzamts zu entgehen – er hatte auch mit seinem letzten Theater eine veritable Pleite hingelegt). Heartfield will dem Freund eigentlich nur kurz die Hand schütteln, er ist wie immer in Eile, in Berlin wird er zu einem Vortrag erwartet. Piscator jedoch ist Feuer und Flamme für seine neue Arbeit: „Johnny, ich brauche dich unbedingt!“ Und schon sitzen die beiden an zwei schnell zusammengerückten Tischen, Heartfield zückt den Zeichenstift, Skizzen für die Kulissen werden diskutiert … Berlin ist für den Moment vergessen, und der Moment währt etwa zwei Wochen …
Als Heartfield im Sommer 1932 nach Deutschland zurückkehrt, haben sich die Wolken am politischen Himmel merklich verdunkelt. Zu dieser Zeit veröffentlicht er in der AIZ seine Montage „Adolf – der Übermensch schluckt Gold und redet Blech“. Graf Kessler, der einstige Mäzen Maliks, ist davon so begeistert, daß er die Mittel zur Verfügung stellt, diese Montage als Plakat zu drucken. Bald schon sorgt der „Übermensch“ an den Litfaßsäulen für Aufregung…
(Der Beitrag ist ein für diese Homepage bearbeiteter Auszug aus Ulrich Faures Malik-Buch Im Knotenpunkt des Weltverkehrs.)