Norbert Bunge zeigt und diskutiert seinen Film über Tom Heartfield, Leben in der Emigration. Tom Heartfield berichtet über die Zeit in Prag mit seinem Vater John Heartfield.
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Die Veranstaltung begann mit dem Flüchtlingslied. John Heartfield hat es aus bitterem Anlass 1938 geschrieben. Zweimal musste er fliehen, 1933 von Berlin nach Prag und 1938 von Prag nach London. Beide mal in letzter Minute, aber mit glücklichem Ausgang. Unmittelbar nach seiner Ankunft in London schrieb er sein Flüchtlingslied. Er beschreibt die Tragik der Flucht und die Hoffnung. Der Komponist Ernst Hermann Meyer hat es für eine Veranstaltung des Freien Deutschen Kulturbundes in London vertont. Es gibt davon noch eine Aufnahme, die wir aber nicht nutzen konnten. Jochen Opitz hat es für uns vertont. Da er bei einer anderen Veranstaltung verpflichtet ist, konnte er es nicht live darbieten. Die Technik bediente Willi Bauer.
Thema der Veranstaltung ist das Leben im Exil, in der Emigration.
Wir haben dazu den Filmemacher, Kameramann und Fotograf Norbert Bunge eingeladen. Seit 1974 drehte Norbert Bunge zahlreiche Dokumentarfilme, als Kameramann, als Regisseur und Produzent. Die Themen seiner Filme sind neben den Portraits bekannter Künstler insbesondere der Nationalsozialismus und die Apartheid. Norbert Bunge hat bei seinen Arbeiten über Wieland Herzfelde und George Grosz („Schön ist`s im Labyrinth –George Grosz in Amerika“) Tom Heartfield kennen gelernt, der ebenso wie sein Vater Deutschland verlassen musste.
Zur Familiengeschichte der Heartfields:
John Heartfield hatte 2 Kinder mit seiner ersten Ehefrau Helene Balzer, das waren Eva und Tom. Nach fast 10-jähriger Ehe trennten sich die Eltern. Mutter und Kinder gingen 1932 nach Rotterdam, John Heartfield musste 1933 aufgrund seiner politischen Tätigkeit nach Prag fliehen. 1936 ging der Sohn zum Vater nach Prag. Grund war, dass er in Rotterdam als deutscher Emigrant keine Arbeit fand.
Sein Vater John Heartfield bemühte sich um eine Lehrstelle als Buchdrucker für ihn. Die beruflichen Möglichkeiten deutscher Emigranten waren jedoch überall im Ausland schlecht; weder in Moskau noch in London konnte Heartfield seinem Sohn eine Lehrstelle beschaffen. Erst 1938 erhielt Tom durch die Vermittlung von Freunden eine Anstellung als Drucker und Korrektor in New York und verließ somit seine Heimat.
Eine Erinnerung des Sohnes an den Vater hat Gertrud Heartfield in ihrer Rede anlässlich der Eröffnung des John-Heartfield-Kabinetts in der National-Galerie 1977 aufgeschrieben:
John Heartfield ist den Kindern ein guter Vater erinnert sich sein Sohn Tom.
„Er hat uns Kinder jeden Sonntag aufgesucht und ausgeführt. Manchmal ins Kino, wo wir uns die schönsten Filme über Chaplin oder Naturfilme gemeinsam ansahen. Wir sind auch oft in den Zoo gegangen, oder an einen der schönen Seen rings um Berlin. Einmal trafen wir einen Kohlenhändler unterwegs, der viele kleine Hunde bei sich hatte. Einer war besonders hübsch, kohlschwarz mit einer weißen Schwanzspitze und weißen Pfoten. Diesen Hund wollte der Vater unbedingt uns Kindern kaufen. Unser Einwand, daß die Mutter es nicht haben wolle, wurde in den Wind geschlagen: ‚Ihr könnt ihn unter dem Bett verstecken‘, war seine Antwort. Von da ab ging der Hund jeden Sonntag mit uns spazieren. Brecht war in Berlin der einzige Bekannte zu der Zeit, der ein Auto besaß, und daher stand er bei uns Kindern hoch im Kurs. Papa hatte einmal mit ihm verabredet, über Königswusterhausen in den Spreewald zu fahren. Weil der Hund so schnell laufen konnte, ließen wir ihn eine Zeitlang neben dem Auto herlaufen, und damit man ihn besser sehen konnte, hatten wir ihm eine große Schleife um den Hals gebunden. Das hat uns allen sehr gefallen und Brecht hat das Ganze großes Vergnügen gemacht.“
Das war noch eine glückliche Zeit für Kinder und Vater. Das Leben im Exil brachte Trennung für lange Zeit.
Ein kurzer Film zeigte die Erinnerungen des Sohnes an die Zeit mit seinem Vater in Prag. Hier war eine wichtige Schaffensperiode Heartfields. Jede Woche erschien eine Ausgabe der AIZ, später Volksillustrierte, mit einer Fotomontage Heartfields. Leben konnten sie von dieser Arbeit nicht und waren auf Hilfe von Freunden angewiesen.
Der Film „Überleben in Queens“ zeigt wie es Tom Heartfield als Emigrant ergangen ist. Ein aktuelles Thema, verlassen auch heute viele Menschen ihre Heimat aufgrund religiöser oder politischer Verfolgung oder auch freiwillig, meist in der Hoffnung, woanders besser leben zu können. Damals wie heute sind die Emigranten bestrebt ihre Kultur zu bewahren, mit in die neue Welt zu nehmen und gehen gern dorthin wo schon viele Emigranten sind. So ist in Queens, einem Stadtteil von New York, jeder dritte Ausländer. Tom Heartfield ist ein aufgeschlossener, freundlicher Mensch und hat mit den verschiedenen Kulturen keine Probleme. Wichtig ist ihm dennoch mit Deutschen zusammen zu sein, um die deutsche Sprache nicht zu vergessen und Erinnerungen auszutauschen. Bis zu seinem 62. Lebensjahr hat er als Drucker und Korrektor gearbeitet. Seine Frau hat er in Italien kennen gelernt, während seiner Zeit als Soldat der USA. Als der Film gedreht wird, ist er 72 und Pensionär. Im Film erzählt er selbst über sein Leben mit feinem trocken Humor und bringt die Zuschauer oft zum Schmunzeln. Norbert Bunge ist hier ein sehr schönes Porträt gelungen, nicht über einen Künstler, sondern über ein ganz normales Leben mit den kleinen menschlichen Schwächen und Träumen, die uns die Person sympathisch machen.
Harald Schadek fand im Archiv Briefe von Tom Heartfield an seinen Vater. Die politische Situation zu dieser Zeit beschreibt Michael Krejsa in „Schweigen in schwerer Zeit“:
„Im Jahr 1950 geht die institutionelle Verfestigung der Teilung der Welt in zwei Lager weiter, der Kalte Krieg nimmt an Intensität zu. Im Koreakrieg stehen sich die beiden Lager das erste Mal militärisch gegenüber. In den USA wird die Innenpolitik von der Sorge der Unterwanderung durch Kommunisten und ihre Sympathisanten bestimmt, denen man durch teilweise inquisitorisch anmutende Befragungen Verdächtiger vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe zu begegnen hofft; besonders Senator Joseph McCarthy, der der gesamten Ära seinen Namen gibt, tut sich dabei hervor.“
Brief von Tom New York 10.12.1950:
„Mein geliebter Papa und liebste Tutti!
Ich bin unmöglich glücklich, daß Ihr heil und gesund in der Heimat angekommen seid und das Leben für Euch wieder einen Sinn angenommen hat. … Wie Ihr Euch ja gut vorstellen könnt leben wir hier in einem Zustand täglicher Spannung und Aufregung. Wir sehen ja zum Beispiel die Versammlungen der „United Nation“ im Televisions-Apparat und sind daher ganz gut informiert. Die Lage ist heute viel klarer als vor einigen Monaten obwohl die große Masse mehr verwirrt ist als je von den hysterischen Zeitungsberichten. Leider hängt der „Frieden“ nur an einem Fädchen und es hat daher gar keinen Sinn mehr sich zuviel Gedanken um die eigene Zukunft zu machen. Im Moment hoffe ich nur, daß Du diesen Brief von mir erhältst, denn wer weiß wie lange man noch schreiben kann. … Es ist jetzt wohl auch ratsam, daß Du mir nicht so ausführliche Briefe schreibst. … Ich hab es jetzt nicht leicht, da alle Preise fantastisch teuer sind und mit jedem Tag noch höher gehen … Es geht mir genau wie Dir früher. Am Freitag Abend komme ich mit einem Haufen Geld nach Hause und am Montag früh hoffe ich, dass es schon bald wieder Freitag ist. … Ich hoffe nur, daß ich nicht wieder Soldat werden muss. Man spricht ja viel davon, daß die Männer bis 36 Jahren wieder eingezogen werden, aber ich hoffe trotz allem, daß wir wieder Frieden haben.“